LUDWIG LUGMEIER

Schriftsteller und Bankräuber

 

Laut STERN hat Ludwig Lugmeier 1973 das schnellste Millionending in der Geschichte der Bundesrepublik gedreht, einen bewaffneten Überfall auf einen Geldtransport der Dresdner Bank, teure Designeranzüge getragen, in luxuriösen Hotels gewohnt und in den Kasinos der Welt Millionen verprasst. Genau das, was ein Illustierten - Reporter von einem Gangster erwartet. Lugmeier, der schon 1992 mit einem viel besprochenen Roman an die Öffentlichkeit trat (Wo der Hund begraben ist / Stroemfeld Verlag), beschrieb sein Leben (Der Mann, der aus dem Fenster sprang / Antje Kunstmann Verlag) allerdings ohne Illustrierten- und Fernsehklischees. Eine so spannende wie differenzierte Autobiografie, zu der die Süddeutsche Zeitung bemerkte: “Eine der besten literarischen Lebensgeschichten seit langem.” Im Frühjahr 2017 soll Lugmeiers Faktenroman “Die Leben des Käpt´n Bilbo” (Verbrecher Verlag / Berlin) erscheinen

 

 
 

Hans Winkler: Laut Wikipedia entschloss sich Lugmeier bereits als Kind den Lebenslauf eines Gangsters einzuschlagen?

Ludwig Lugmeier: Aha! Ist mir neu. Aber warum eigentlich nicht? Es gibt uninteressantere Lebensentwürfe.

H. W.: Immerhin ziehen sich Piraten- und Abenteuergeschichten wie ein roter Faden durch Ihre Autobiografie.

L. L.: Nun, mir wurden von klein auf Geschichten erzählt, zu Hause, von meiner Mutter und natürlich von meiner Oma, die schamlos übertrieb. Das ging geradezu ins Phantastische über. Die Giftschlange im Zoo, die ihr Gift an die Scheibe spritzt, dass es nur so runter läuft, habe ich heut noch vor Augen. Und die Frau, der die Kinder verbrannten! Sie riss sich vor Verzweiflung die Haare vom Kopf. Und was für Haare wuchsen ihr nach? Feuerrote! Und dann wieder Sachen wie bei Herzmanowski – Orlando. Meistens aus Wien. Irgendwie bin ich dort auch zu Haus. Nein, Geschichten sind wichtig. Was ist man schon ohne Geschichte? Büroangestellter. Nicht einmal das.
I.
H. W.: Sie haben früh zu lesen begonnen.

L. L.: Alles was ich in die Finger bekam. Am liebsten Sigurd – Heftchen. Fünfzig Pfennig das Stück. Jeden Montagmorgen am Kiosk. Und Tarzan. Und Akim. Und dann ein Buch von Knut Hamsun, Vagabundentage, nicht dick, überhaupt nicht, aber ich kam einfach nicht durch, weil ich nicht kapierte, worum es da ging. Das war zum Verzweifeln. Der Bertelsmann Bücherring sorgte damals für literarische Bildung. “Vom Winde verweht”, auch irgendwas von John Knittel, “Via Mala” vielleicht. “So weit die Füße tragen”, da fraß ich mich so nach und nach durch. Und später - ich war wie ein Schwamm. Ich bin ein ausgesprochener Leser. Ich glaube, ich habe die meiste Zeit meines Lebens mit Lesen verbracht – neben schlafen natürlich. Und Filme sehen!
I.
H. W.: Sie sind im Pfaffenwinkel geboren. Aufgewachsen am Kochelsee und in Benediktbeuern. Da denkt man an Lovis Corinth, der am Walchensee wohnte, an Franz Marc, auch an Goethe und Heine auf dem Weg nach Italien. Im Walchensee wird Nazigold vermutet. Große Namen, dunkle Geschichten.

L. L.: Die großen Namen hatten wenig Bedeutung für mich. Goethe, das waren Gedichte im Schulbuch. Über allen Gipfeln ist Ruh und so weiter. Franz Marc, an dessen Villa musste ich immer vorbei, weil ich in der Nachbarschaft wohnte. Aber er war ja lange schon tot. Und seine bunte Tiere reißen ein Kind nicht vom Hocker. Was dunkle Geschichten betrifft, davon gabs jede Menge. Im Grunde liefen lauter dunkle Geschichten herum. Jeder Mensch war eine dunkle Geschichte. Der Krieg war ja erst ein paar Jahre vorbei. Aber die Geschichten zeigten sich ungern - meistens, nicht immer. Manche kämpften weiter in Russland. Und dann war da irgendwas mit den Juden gewesen. Aber was nur? Ich kam nicht dahinter. Das Kesselberghaus, in dem ich zur Welt kam und die ersten sieben Jahre verbrachte, lag in einer dramatischen Landschaft. Vor der Haustür die Alpen, wie ein riesiger Riegel, und im Westen der See. Frei, offen, keine dreihundert Meter entfernt. Landschaften prägen.
I.
H.W.: Haben Sie Schätze gesucht?

L.L.: Schätze lagen überall rum. Gasmasken, Bajonette, Patronen, verrostete Waffen. Am meisten konnte man auf wilden Müllkippen finden. Das waren herrliche Sachen. Zu Haus und in der Schule wurden wir zwar ständig verprügelt, aber dafür waren wir mit echten Handgranaten gerüstet. Da können einem die Kinder von heute nur leid tun. Andere Schätze haben mich weniger interessiert. Geld kam erst später.

H. W.: Hört sich beinahe an, als hätten Sie eine schöne Kindheit gehabt.

L.L.: Hatte ich auch. Die Verhältnisse waren noch nicht so verschwommen wie heute. Erwachsene waren naturgemäß Feinde. Es galt sie zu täuschen. Wer sie belügt und bestiehlt, ist ohne Frage ein Held, sie betrügen einen ja auch, und der Bruch ihrer Gesetze öffnet Räume der Freiheit. Wie die Surrealisten verstehe ich Freiheit individualanarchistisch. In mein Gedächtnis ist ein wunderbarer Moment eingebrannt. Hochsommer, die Sonne brennt nur so runter und ich marschiere über eine Eisenbahnbrücke. Kurze Lederhose, Knobelbecher, viel zu große natürlich, im Gürtel ein Bajonett, in der Hand einen Speer und auf dem Kopf einen martialischen Feuerwehrhelm, der von einer Müllhalde stammte. Erwachsene, die im Leinbach badeten, grinsten bis zu den Ohren und riefen: Ja so warns, die alten Rittersleut. Klar, dass man lacht. Aber ich mit meinen zehn Jahren stand haushoch darüber, wie ein homerischer Krieger.

H. W.: Oskar Maria Graf stammte auch aus der Gegend.

L. L.: Aus Berg am Starnberger See. Von den Grafs hat noch König Ludwig II. seine Semmeln bezogen. Ich mag seine Bücher. Ich hab sie alle gelesen. “Wir sind Gefangene” sogar zwei Mal, erst vor kurzem wieder. Ein wenig ist er ja christlich affiziert. Aber was solls? Er war ein großartiger Erzähler. Und weil wir schon bei bayrischen Schriftstellern sind: aus Schongau kommt der Franz Dobler. Wir sind seit vielen Jahren befreundet. Die Bücher von Franz sollte man kennen.

H. W.: Wie war ihr Verhältnis zur Kirche? Die Gegend ist ja katholisch.

L. L.: Katholisch – nationalsozialistisch. Hitler und der liebe Gott, gute Spezies würde ich sagen. Natürlich gabs hin und wieder Streit zwischen Nobodaddy und Hitler, aber im Großen und Ganzen kamen sie miteinander aus. Karl Heinz Deschner hat ja genug darüber geschrieben. Und vertieft Hyam Maccoby! Mir sind diese obskuren Ideologien verhasst, und seit Kurzem bin ich Mitglied beim IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten), obwohl mir da manches nicht passt. Das Christentum ist eine Krankheit übelster Art. Aber wenn das Immunsystem intakt ist, schlägt sie nicht durch.
I.
H. W.: Dabei lieben Sie den Barock.

L. L.: Ja. Ich geh auch an keiner barocken Kirche vorbei. Steigen Sie in Bad Tölz mal den Kalvarienberg hoch! Schauen Sie sich die Kirche an. Oder Vierzehnheiligen. Oder die Asamkirche in München. Das sind wunderbare Theater. Nur wird halt immer dasselbe Stück aufgeführt. Aber was ließe sich nicht alles machen? Dionysische Feste könnte man feiern. Raus mit den Kruzifixen. Kein Zutritt für Pfaffen. Barocke Kirchen laden zu Orgien ja geradezu ein. Dazu ist die ganze Architektur angetan. Sie ist durch und durch Rausch, und es war Egon Friedell, der, wenn ich mich nicht täusche, dafür Opium als Ursache sah. Rauchen Sie eine Pfeife und schon sehen Sie die schönsten Voluten. War ja die Volksdroge zu jener Zeit. Nicht die schlechteste. Inzwischen leider schwierig zu kriegen.

H. W.: Sie überfielen zwei Geldtransporte, einen in München, einen in Frankfurt, und erbeuteten knapp drei Millionen Mark. Wie war es, als Sie plötzlich so reich waren?

L. L.: Na, so richtig reich ist das auch wieder nicht. Aber mir kams schon so vor. Ich hatte ja noch nie ordentlich Geld in der Tasche gehabt. Erst mal geriet ich in Kaufrausch. Dann flog ich nach Rom. Dann nach Las Palmas. Dann nach Madrid, wo es gerade mit den Stierkämpfen los ging. Kreuz und quer durch Europa zusammen mit einer amerikanischen Freundin. Das war eine schöne aber auch anstrengende Zeit. Schließlich flog die Sache auf, und ich musste mich verstecken. London, Frankfurt, da war das Geld schon ganz schön geschmolzen. Wir, mein Partner und ich, baldowerten einen neuen Coup aus. Zwei Millionen schauten da raus. Kriminalität muss sich lohnen. Dann macht es auch Spaß. Sonst sollte man besser arbeiten gehen. Lange Geschichte.
I.
H. W.: Zwei Millionen Mark, wie haben Sie sich gefühlt? Was hat das Geld bedeutet? Wie war das, als sie es hatten?

L. L.: Erst mal war da eine große Erleichterung, dass es wie am Schnürchen geklappt hat. Mein sinnliches Verhältnis zum Geld war aber inzwischen verflogen. Ich sah es nun nüchtern. Papier zu Ziegelsteinen gepresst, buntes Papier, Geldpapier. Nichts mehr von Rausch, aber gleich gar nichts. In Frankfurt war der Teufel los. Wir mussten weg, weit weg am besten. Wir brauchten gute Papiere und eine neue Staatsangehörigkeit und was noch so alles notwendig war.
I.
H. W.: Kann man sich Sicherheit kaufen?

L. L.: Bis zu einem gewissen Grad: ja.

H. W.: Wie denken Sie über das Geld? Der ehemalige Notenbankchef meint, Geld wird aus dem Nichts geschaffen, vermehrt sich exponentiell und bezieht seinen Wert durch Mangel. Armut garantiert seinen Wert. Hätten alle genug Geld, hätte es keinen Wert.

L. L.: Na, der muss es ja wissen. Ich bin weder Wirtschaftswissenschaftler noch Finanzfachmann noch Anlageberater noch so irgendwas. Ich brauche Geld um mir Waren zu kaufen, Dienstleistungen auch. Wozu ist es sonst noch gut? Es pufft Gefahren und Widrigkeiten ab. Sicherheit lassen sich ebenfalls kaufen. Dann spielt man mit Geld, Poker, Roulette oder gleich an der Börse. Man spekuliert, macht gute Geschäfte, und es steigert das Selbstwertgefühl. In puncto Status und Ansehen gibts keine Grenze nach oben. Muss man nur mal durch Hollywood laufen.
I.
H. W.: Macht Geld glücklich?

L. L.: Nicht unbedingt. Aber arm sein mit Sicherheit auch nicht.

H. W.: Möchten Sie reich sein?

L. L.: Richtig reich? So wie Warren Buffett? Nein. Was sollte ich mit so viel Geld? Da muss man sich drum kümmern, vermehren, damit es ja nicht weniger wird, wäre ja schrecklich. Dazu braucht man die Leidenschaft von Dagobert Duck. Die fehlt mir. Es gibt Wichtigeres zu tun, und wenn es faulenzen ist. Ich meine, Geld ist schon wichtig, aber so wichtig auch wieder nicht. Während der Finanzkrise gabs da so eine Geschichte. Ich kann mich an den Namen nicht mehr erinnern, aber er hatte ein Vermögen von sechs Milliarden. Davon setzte er die Hälfte in den Sand. Blieben bloß noch drei Milliarden. Schrecklich. Was tat er? Der arme Hund warf sich vor den Zug.

H. W.: Danke für das Gespräch.