ÜBERLEBENS HANDBUCH

- Guide de survivre


Die Bekenntnisse eines Außenseiters. Mit Tipps und Tricks zum Überleben
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Spaziergänge in den Gängen von Konsum-Tempeln wärmen auf und helfen uns, in die Rolle des Jägers und Sammlers zu schlüpfen. In Regalen Gefundenes wird eingesteckt oder sofort verzehrt.
Dies ist wie Naschen in Nachbars Garten, wie das Pflücken vom Beerenstrauch, wie das Klauben vom Apfelbaum.
Ganz nebenbei entstehen Transformationen und Geschichten.
So wird: Ein Regal zum Tisch - Ein Gang zum Schnellimbiss - Ein Supermarkt zum Restaurant - Eine Galerie zur Freibier-Bar.

Diese Streifzüge unternehmen wir am Liebsten zu mehreren, da mehr “Power” in den Aktionen eines Duo’s, oder, wenn man so will, in einer Bande stecken. Ein oder zwei Leute kümmern sich ausschließlich darum, Sicherheitspersonal abzulenken und die Aktionen abzuschirmen, womit die Jagd eingeleitet ist und wir, sinnbildlich, wie Heuschrecken in den Markt einfallen.
Durch die organisierte Vorgehensweise kann dabei das Sicherheitssystem von Supermärkten einfach lahmgelegt werden. Ein mehrfach hintereinander ausgelöster falscher Alarm bewirkt, dass das elektronische Überwachungssystem meistens von der Geschäftsleitung abgeschaltet wird, um nicht weiter die Kundschaft zu verärgern. Womit Tür und Tor für einen groß angelegten Diebstahl geöffnet ist.
Dennoch ist bei jeder Unternehmung (vor allem bei Einzelaktionen) unnötiges Risiko zu vermeiden. Auch ein Ladendiebstahl von Kleidung lohnt sich meist nicht, da diese in Waschcenters, in unbewachten Trocknern, an Hotelpools oder Seen schon auf ihre neuen Besitzer wartet und weitgehend risikofrei zu haben ist.

Wegen der besseren und gesünderen Lebensmittel bevorzugen wir Naturkostenläden. Für sie spricht auch, dass sie im Vergleich zu großen Supermarktketten über ein eher durchschaubares und harmloseres Sicherheitssystem verfügen.

Auf unseren Touren konzentrieren wir uns meist auf kleine Waren, die leicht weggepackt oder schnell verzehrbar sind, wie z.B. die “Power-oder- Müsli–Riegel”, die, wie ein komplettes Essen, viele Vitamine und Nährstoffe in sich bergen.

Ein gutes Versteck für Geklautes sind billige Güter, wie z. B. eine Klopapierrolle mit dem praktischen runden Hohlraum oder die braune Kartoffel-Papiertüte. Der Boden dieser Tüte bietet Platz für luxuriösere Esswaren, wobei beim Abwiegen aber nur der Preis für das Gewicht der Kartoffeln berechnet wird.

Um ein gutes, elegantes und kostenloses Essen in Begleitung zu genießen, empfiehlt sich nach wie vor der “Kakerlaken-oder-Maus-Trick”. Mitgebracht in einer Dose wird, nachdem das Essen fast beendet wurde, eine lebende Kakerlake (Maus) geopfert und ins Essen
(z. B. in den Salat) geschmuggelt. Woraufhin die Bedienung empört herbeigerufen wird und das Restaurant ohne zu Zahlen verlassen werden kann.
Um einfach und ohne Aufregung an Lebensmittel zu kommen, sollte man eine Wanderung auf dem Gelände von Wochen- und Supermärkten unternehmen.
In diesem Umfeld sind oft gute Waren, wie Obst und Gemüse, zu finden, deren Haltbarkeit knapp abgelaufen oder die leicht beschädigt
sind, und die den ästhetischen Ansprüchen der verwöhnten Käufer nicht mehr entsprechen.
Von Zigeunern lernten wir, dass das Wort “Mensch” gleichzusetzen ist mit Essen. Sie sind es auch, die die Kunst des Bettelns perfektioniert haben.
Um ihre Technik zu erlernen, empfiehlt es sich, bei anerkannten Meistern Anschauungsunterricht zu nehmen. Hilfreich ist auch die Erkenntnis, dass viele Menschen unter bestimmten Umständen leicht zu manipulieren sind. Wichtige Bestandteile der Performance sind das “outfit”, die persönliche Ausstrahlung und das “Aufbauen” von Augenkontakten mit “Kunden”.
Unorthodoxes und kreatives Handeln gehen Hand in Hand mit der Nahrungs- und Geldbeschaffung. Leichtes Opfer sind vor allem schwer Alkoholisierte auf nächtlicher Sauftour. Unterstützt von zwei bis drei Leuten wird man schnell Eigentümer ihrer Geldbörsen oder Brieftaschen. Die Ausgeraubten werden sich später, wegen des Restalkohols im Blut, an keine Einzelheiten, geschweige denn an Gesichter erinnern. Später wartet auf den Finder von Papieren und Kreditkarten noch ein ansehnlicher Finderlohn. Das Teilen der Gesamtbeute innerhalb der Gruppe (Bande) ist selbstverständlich.
Eine beliebte Methode für Extra-Einkommen ist das Kassieren von Flaschenpfand an Automaten. Hierfür werden Barcodes kopiert und an pfandfreie Flaschen geklebt.
Der Verkauf des eigenen Reisepasses/Ausweises an illegale Immigranten kann gutes Geld bringen. Vor dem Deal muss man aber den Ausweis logischerweise als gestohlen melden.
Wenn man die Stadt schnell verlassen muss, gilt es günstige Verkehrsmöglichkeiten zu nutzen. Wir sollten uns an die Tradition der “Hobos” erinnern, uns ihr überliefertes Wissen zunutze machen und Fahrgäste von Güterzügen werden, um eine Landdurchquerung zu starten oder in einer anderen Stadt unterzutauchen.
Am besten nutzt man als Startort nachts die Güterbahnhöfe und checked Informationen über die Fahrpläne aus. Empfehlenswert sind nur Waggons mit zwei Türen, um zu vermeiden, dass man sich selbst einschließt oder eingeschlossen wird. Auf alle Fälle sollten die Schlösser überprüft werden.
Um ein zugiges, kaltes Reiseabenteuer zu vermeiden, ist gute, warme Kleidung und eine Decke oder ein Schlafsack zwingend notwendig. In einer fremden Stadt angekommen, empfiehlt es sich, sich z. B. als ehemaliger Soldat auszugeben oder – saisonbedingt - älteren Haus- und Gartenbesitzern anzubieten, ihre Bäume vom Obst zu befreien.

Auch der Taxi-Trick funktioniert. Man ruft einen “Wagen”, gibt die Richtung an und verlässt später (in der Nähe des eigentlichen Ziels), ohne zu zahlen, das Fahrzeug an einer belebten Kreuzung. Der Fahrer wird in der Regel darauf hilflos reagieren und sich, eingeklemmt im Verkehr und irritiert durch das Hupen anderer Verkehrsteilnehmer, schnell in sein Schicksal fügen, ohne die Verfolgung aufzunehmen.

Das Handbuch, 2009 in Montreal zusammengetragen, wurde durch einige Beiträge von Obdachlosen und Landstreichern aus Deutschland 2016 ergänzt.

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